Kunst, Philosophie, Akupunktur, Psyche – und das I Ging

Ich bin Künstlerin und Philosophin. Und hatte auf vielen langen Reisen Richard Wilhelms Übersetzung des Buches der Wandlungen im Gepäck. Mit wechselndem Erfolg. Die Originaltexte sind, seien wir ehrlich, eher unzugänglich.

„Die Aufgabe des Künstlers ist es, den Sinn auszuloten.“ – das ist eine Berufsbeschreibung, die ich mag. „Und, was ist nun der Sinn der Hexagramme?“, fragte ich mich. Und machte mich ans Werk. Das war 2008.

In New York hatte ich 1983 meine erste Akupunkturbehandlung bei Dr. Ching Y Ting erlebt, dessen Großvater in Shanghai die erste Schule für traditionelle Kräutermedizin Chinas eröffnet hatte und einer der letzten königlichen Ärzte war, die mit dem Kaiser in der Verbotenen Stadt zusammenarbeiteten. Es folgten viele weitere Behandlungen auf unterschiedlichen Kontinenten, mit unterschiedlichen Behandlungskonzepten und -erfolgen. 2010 fing ich an, mich intensiver mit den theoretischen Grundlagen der klassischen Akupunktur zu beschäftigen.

Von Anfang an machte ich die Erfahrung, dass Akupunktur nicht nur auf meinen Körper, sondern auch auf meine Psyche wirkt. Angesichts der mittlerweile auch wissenschaftlich anerkannten Wechselbeziehung von Körper und Seele erschien mir das nur logisch. In einem Buch des Psychiaters Leon Hammer stieß ich zum ersten mal auf Belege für meine Vermutung, inzwischen bin ich in der Fachliteratur auf zahlreiche entsprechende Hinweise gestoßen, dass nämlich die einzelnen Meridiane sehr individuell charakterisiert sind und ganz spezifische psychische Funktionen repräsentieren.

Genau dieser Aspekt – individuelle Charakteristik und Funktion – zeichnen nun aber auch die einzelnen Trigramme des I Ging aus. Und tatsächlich: Die Reihenfolge des späteren Himmels bzw. Innerweltliche Ordnung nach König Wen, die ich später entdeckte, zeigt die Trigramme in der zeitlichen Reihenfolge ihres Hervortretens im Jahreslauf, eine Zuordnung, die auch für die Meridiane existiert. Da ist er also, der Nexus zwischen Akupunktur und I Ging.

Der zweite Aspekt, der mich interessierte, war die Frage, wie die beiden Trigramme, die zusammen ein Hexagramm bilden, miteinander zusammenhängen. Oberes und Unteres Trigramm, erstes und zweites Kernzeichen, das sind Begriffe, die in der Arbeit mit dem I Ging durchaus üblich sind. Dass man bei der Befragung des I Gings das Hexagramm aber von unten nach oben aufbaut und dadurch diese einzelnen Unter-Trigramme auseinander hervorgehen, gewissermaßen auseinander hervorwachsen, findet meiner Erfahrung nach wenig Beachtung. Entsprechend prominent habe ich diesen Aspekt in  meinem Interpretationsmodell herausgearbeitet.

Jede intelligente Frage enthält bereits ihre ebenso intelligente Antwort. Vor diesem Hintergrund zeigen uns die Transformationen des Hexagramms, worauf wir achten müssen. Um dann, im Sinne des Wu Wei, nicht mehr, eher weniger zu tun.